Stop-Zeichen

Die Gesellschaft in der wir leben ist durch verschiedene Herrschafts- verhältnisse (Rassismus, Sexismus und noch viele andere mehr…) geprägt. Auch hier auf dem Camp machen sie sich bemerkbar. Sie produzieren strukturelle Ausschlüsse, Hierarchien, Dominanzen und Verletzungen. Sie statten bestimmte Menschen mit Privilegien aus, von denen sie andere strukturell, d. h. Auf breiter Ebene und nicht nur im Einzelfall, ausschließen. Das kann konkret bedeuten, dass bestimmte Leute auf Großplena selten zu Wort kommen, oder andere die Diskussion häufig dominieren. Oder dass Sprecher*innenpositionen unterschiedlich ernst genommen werden. Unter anderem dadurch, wie wir miteinander kommunizieren, tragen wir alle dazu bei, dass Herrschaftsverhältnisse immer wieder neu geschaffen oder eben in Frage gestellt werden.

Für Menschen, die in ihrem Leben ständig von Rassismus, Sexismus (…) negativ betroffen sind, birgt die Kommunikation in Räumen, die sie mit durch Rassismus, Sexismus (…) Privilegierten teilen, die Gefahr der Verletzung und Retraumatisierung. Dabei ist nicht ausschlag- gebend, ob der*die Sprecher*in gerade jemanden verletzen möchte oder nicht. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir aus sehr unter- schiedlichen Positionen sprechen und dass strukturelle Gewalt, wenn mensch selbst nicht davon betroffen ist, häufig nicht wahrgenommen wird. Was gewaltvoll ist, definieren daher die Betroffenen. Deswegen verwenden wir auf den Plena des No Border Camps das „Stopp“- Zeichen und das „Unterbrechungs“-Zeichen.
Das „Stopp“-Zeichen kann eine Person anwenden, wenn das gerade Gesagte für sie strukturelle Gewalt bedeutet, d. h. Wenn sie sich rassistisch und/oder sexistisch (…) verletzt sieht. Der verletzende Redebeitrag wird an der Stelle abgebrochen. Es liegt in der Hand der Person, die das Zeichen angewendet hat, ob sie sich erklären will oder nicht. Die Person kann auch eine andere Person für sich sprechen lassen, wenn sie das möchte. Die Erklärung soll nicht weiter kommentiert, sondern stehen gelassen werden, da in solchen Fällen nicht selten Abwehrmechanismen greifen, die ein Zuhören verhindern. Nach dem Stopp geht es auf der Redeliste weiter.
Wird das „Abbruch“-Zeichen eingesetzt, wird das Plenum an dieser Stelle für etwa fünf Minuten unterbrochen. Die Person, die das Zeichen angewendet hat, hat die Möglichkeit, sich mit Personen ihres Vertrauens auszutauschen. Auch hier liegt es an der betreffenden Person, was und wie ins Plenum zurück getragen wird oder ob und auf welche Weise der Austausch mit der Person/den Personen, deren Beitrag/Beiträge zu dem Abbruch-Zeichen geführt haben, stattfindet. Personen, die diese Zeichen einsetzen, sollen nicht unter Erklärungsdruck geraten.
Der Einsatz des „Stopp“- und „Abbruch“-Zeichens sollte nicht mit Zensur verwechselt werden. Wir verstehen sie als Instrumente zum Empowerment / zur Selbstermächtigung von Menschen, die von Rassimus, Sexismus (…) negativ betroffen sind. Während sie im Alltag ständig verletzenden Kommentaren ausgesetzt sind und Kritik, Wut und andere Reaktionen häufig kein Gehör finden, wollen wir diesen im Rahmen des Camps explizit Raum geben. Ein solches Zeichen zu verwenden erfordert viel Mut. Dies wird also sicher nicht leichtfertig geschehen. Im konkreten Fall bedeutet dies für Menschen, die nicht negativ von Rassismus (…) betroffen sind, erst mal zuzuhören und sich nicht sofort zu entschuldigen oder zu rechtfertigen. Für eine Diskussion ist das dann einfach nicht der richtige Raum. Kritik am eigenen Verhalten sollte – auch wenn sie überraschend kommt und möglicherweise im ersten Moment als unberechtigt empfunden wird – als Chance zur Auseinandersetzung und Veränderung angesehen werden. Diskussions- und Lernräume kann und soll es an anderer Stelle durchaus geben, wenn sie denn als solche gekennzeichnet sind und verantwortungsvoll damit umgegangen wird.
Es geht nicht darum, Schuldurteile zu verteilen und Moralkeulen zu schwingen. Wir sind alle Teil von Herrschaftsverhältnissen wie Rassismus (…). Grenzverletzungen können stattfinden, auch wenn sie nicht gewollt sind. Die eingeführten Zeichen sind ein Versuch mit Verletzungen umzugehen, einen geschützteren Raum zu schaffen, einen Lernraum zu eröffnen, und damit im besten Fall Grenzverletzungen in der Zukunft weniger werden zu lassen.
Deshalb erwarten wir von allen Teilnehmenden des Camps Offenheit für Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten und der eigenen Position.

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